Dawson City (06.08.2013 – 07.08.2013)

Dawson City, die Boomtown um 1900, ist ein originelles Kaff, das erst um 1896 zu Beginn des Goldrausches am Klondike River (bzw. am Bonanza Creek) gleich nach der Mündung des Klondike in den Yukon River aus dem Boden gestampft wurde. Die rasch angestiegene Einwohnerzahl ging von über 40’000 im Jahr 1898 bereits bis zum Jahr 1902 auf ca. 5’000 zurück. Mittlerweile leben noch zwischen 1’000 und 1’500 Personen dort. Das ganze Städtchen ist eigentlich ein “Museum”. So müssen neue Gebäude im Stil der Gründungszeit erstellt und anscheinend alle drei Jahre entsprechend neu gestrichen werden.

Bereits am ersten Abend liess ich die Atmosphäre bei einem Nachtessen im Klondike Kates und einem Drink im Diamond Tooth Gerties auf mich wirken. Am nächsten Tag schlief ich erst mal aus und machte mich dann auf zum Visitors Center. Dort begann just eine Stadtführung, der ich mich anschliessen konnte. Viele der Angestellten verfügen über einiges an schauspielerischem Talent und können so in ihren historischen Kleidern ein besonderes Bild der Jahrhundertwende zeigen.

Als erstes gingen wir ans Ufer des Yukon. Dort machte sich grad ein Boot ans andere Ufer auf. Andy erzählte uns, dass es sich dabei um “Caveman Bill” handle. Er zog vor Jahren nach einer Wette (Das machst du niiieee!) in die Höhle und da es ihm auf der anderen Uferseite gefiel, blieb er bis heute dort. Eigentlich sind es aber mehrere Höhlen inkl. der Wohnhöhle mit Kühlschrank, Sofa, Unterhaltungsmedien und was halt sonst in einer ordentlichen Höhle nicht fehlen darf. Auch einige Häuser liegen an der Westseite des Flusses. Im Sommer verkehrt die Fähre nonstop, im Winter kann über das Eis gefahren werden. Im Frühling ist für kurze Zeit kein Transfer möglich, da das Eis nicht mehr tragfähig ist, die Fähre aber noch nicht fahren kann. Im Herbst kann es von der Eisbildung bis zur Tragfähigkeit mehrere Wochen dauern. Da dann auch der Top of the World Highway nach Alaska gesperrt ist, müssen die Bewohner wohl ober übel dort bleiben. Die Schulzeiten werden übrigens diesem Umstand angepasst. Weiter ging’s dann zu mehreren historischen Gebäuden. Die ursprüngliche Bank besteht noch, dient aber nur noch zu Museumszwecken. Bis zu ihrer Installation gab es in Dawson City kein Bargeld – Tausch- oder Goldhandel mussten als Alternative herhalten. Zu Beginn war es üblich, die Goldstaubmenge zu wägen. Das wurde dann zu mühsam und fortan galt eine Prise Goldstaub als 1 Dollar. Nun hatten die Leute natürlich unterschiedlich grosse Pranken. Zudem gab es auch einige Tricks, um die entnommene Menge zu erhöhen. So konnte man sich durchs fettige Haar fahren, wodurch mehr an den Fingern kleben blieb. Ebenfalls beliebt waren lange Fingernägel, unter die sich das wertvolle Pulver drücken lassen konnte. Im Casino soll nach Ladenschluss der Boden jeweils besonders sorgfältig gereinigt worden sein. Obwohl diese Zahlart nicht allzu lange andauerte, sieht man bei Umbauten heute noch, wo sich die Zahlstellen befanden, an denen immer ein bisschen Staub durch die Bodenbretter gerieselt war. Wird ein Gebäude verschoben, wird die Erde darunter ebenfalls durchgesiebt. Später folgten die Post, eine Bar und die Zeitungsdruckerei. Auch ein Bordell sowie ein Casino gab es. Aufgrund von Prostitutions- und Spielverbot waren sie zeitweise die einzigen in ganz Kanada. Die Behörden hatten bei 20’000 Männern und nur 800 Frauen wohl Angst, das zu unterbinden. Mal ganz abgesehen davon, dass sich die Leute weitab von der Regierung in der nur schwer erreichbaren Wildnis wohl kaum an solche Gesetze gehalten hätten. Diese Ausnahmen hatten aber auch Vorteile. So gab es eine Prostitutionsabgabe, mit der das Krankenhaus unterstützt wurde. Da verwundert es wenig, dass das örtliche Spital durch die Abgabe wesentlich mehr Geld erhielt als vom Staat und dadurch auch sehr gut ausgerüstet war. Mit Krankheiten anstecken durften sich die Damen aber nicht. Sonst gab’s ganz diskret ein Einwegticket nach Süden. Für das First Nation Museum hatte ich nach dem späten Mittagessen nur noch sehr wenig Zeit, da die ihre Tore bereits um 17.00 schliessen.

Für den zweiten Tag hatte ich mich für einen Ausflug zur Dredge #4 (Goldwaschmaschine Nr. 4) angemeldet. Mit dabei war auch eine deutsche Familie, die mit dem Boot den Yukon von Whitehorse bis Dawson City heruntergepaddelt waren. Unser urchiger Führer wusste allerhand zu erzählen. So machte sich 1896 ein als notorischer Lügner bekannter Mann auf nach Fourty Mile in Alaska. Damals war der Grenzverlauf zwar eigentlich auch schon klar, nur interessierten sich weder Kanada noch die USA wirklich dafür, ob jetzt ein paar km Wald mehr zum einen oder anderen Land zählten. Kurz nach dieser Reise sollte sich das dann ändern, mit dem besseren Ende für Kanada. Der Mann erzählte also den Leuten in Forty Mile von seinem Goldfund, was diese ihm nicht abnahmen. Nun kann man aber dem Gold ansehen, aus welcher Gegend es stammt – und dieses Gold stammte von einer bisher unbekannten Fundstelle. So machte sich am nächsten Tag die gesamte Bevölkerung (ausser Pfarrer, Lädelibesitzer oder so) auf den Weg zum Rabbit Creek, der später in Bonanza Creek umgetauft wurde, um Claims abzustecken. Auch im Rest der Welt verbreitete sich die Kunde von den sagenhaften Goldfunden nach und nach und bald machten sich ca. 100’000 Abenteurer (oder Verzweifelte) auf den Weg. Dazu mussten sie erst mal über den Chilkoot Trail von Dyea (Alaska) nach Bennet (British Columbia) und dabei Verpflegung für mindestens ein Jahr mitnehmen. Für die ca. eine Tonne an Gütern mussten sie den Pass viele Male wandern. An der Grenze standen dann die kanadischen Mounties, die Waffen konfiszierten und Einfuhrsteuern auf alles erhoben, das nicht in Kanada erworben wurde – da die Leute in Alaska losgewandert waren also praktisch auf alles! Viele überlebten die Strapazen nicht oder kehrten desillusioniert wieder um. Gut 40’000 verbliebene Goldsucher erreichten schliesslich die Gegend am Klondike River. Nun war der Bonanza Creek ja kein allzu grosser Bach und bot nur Platz für ca. 300 Claims. Die waren bei der Ankunft der grossen Schar natürlich längst abgesteckt. So blieb ihnen nur, sich entweder anstellen zu lassen oder ihr Glück in der Erde an den naheliegenden Hängen zu versuchen. Bei den Funden handelte es sich um Goldstaub, der aus der Erde im Fluss gewaschen werden musste. Das Gesetz verbot aber, mehrere nebeneinanderliegende Claims zu besitzen. So machten sich unabhängig mehrere Persönlichkeiten in der Hauptstatt Ottawa für eine Gesetzesänderung stark. Nachdem diese durchgekommen war, konnten auch grosse Maschinen eingesetzt werden. Diese Dredges mussten natürlich auch erst mal in die Gegend gebracht werden. Bestellt bei Herstellern für den Tagebau (Kohle), wurden sie über das Eismeer zur Yukonmündung und dann den Fluss hoch transportiert. Erst mal vor Ort gruben sie sich nach und nach durch das Flussbett. Damit das überhaupt möglich war, musste der Permafrostboden erst mal aufgetaut werden. Anfangs geschah das mit Feuer, später verwendete man vermehrt Wasser, dass mit Druck in Bohrlöcher gepumpt wurde. Natürlich konnten die Maschinen im Winter nicht arbeiten, weshalb sie im Sommer während 24 Stunden nonstop liefen. 1960 verschüttete ein Unwetter die Dredge #4 und da sich die Bergung nicht mehr lohnte, liess man sie einfach liegen. Jahre später wurde sie wieder freigegraben und heute dient sie als Museum, in dem man immer noch die Schlammlinie sieht. Bei ihrer Bergung stellte die Maschine ihre Zuverlässigkeit nochmals unter Beweis: Trotz Jahren im Schlamm konnte sie an den heutigen Standort manövriert werden. Nach dem Besuch durften wir uns vom öffentlichen Claim jeder eine Schüssel voll Erde nehmen und versuchen, im Bach Goldstaub auszuwaschen. Ausser etwas Katzengold hatten wir aber keinen Erfolg.

Nach einer Zwischenverpflegung machten wir uns auf, dem Museum einen Besuch abzustatten. Besonders interessant fand ich die halbstündlichen Sondervorführungen. Als erstes erzählte uns “Thomas O’Brien” über seine bisherigen Tätigkeiten, die ohne sein Verschulden allesamt Reinfälle waren, so z.B. auch ein Tram in Klondike City. Er versuchte uns den Kauf von Eisenbahnaktien schmackhaft zu machen, da eine Stadt wie Dawson City natürlich mit dem Rest der Welt verbunden werden müsse. Eine andere Einwohnerin riet uns mit dem Hinweis auf den bereits weit fortgeschrittenen Exodus und O’Briens bisherigen geschäfltichen Erfolg dringend davon ab. Dieser hatte aber noch eine zweite Idee im Ärmel: eine Brauerei. Da war die Dame natürlich auch strikt gegen, schliesslich wurde ja ohnehin schon zuviel gesoffen. O’Brien fand natürlich, dass Bier gegenüber Schnaps doch schon eine Verbesserung sei und meinte schliesslich, ob sie den das Yukon-Wasser pur trinken wolle 😉 Als zweites Highlight öffneten Sie das Eisenbahnmuseum. Die Bahn wurde also tatsächlich gebaut, konnte sich aber nur einige Jahre halten. Das lag neben den Schwierigkeiten mit dem Terrain und der schwindenden Bevölkerungszahl wohl auch am unfähigen Management, diesmal aber nicht O’Brien. Die Gesellschaft entschied sich für eine Schmalspurbahn, um weniger sprengen zu müssen. Bereits die zweite Lok hatte zwar immer noch ein Schmalspurfahrwerk – allerdings mit einer Verkleidung, in der auch die Achsen einer Normalspurbahn problemlos Platz gefunden hätten. So kam dieses Schmuckstück nicht wirklich zum Einsatz. Neben der öffentlichen Eisenbahn gab es aber auch noch kleine private Strecken für den Transport von Holz usw. Abschliessend kann wohl festgehalten werden, dass sich die Eisenbahnerei in Dawson City nicht wirklich durchsetzen konnte.

Nach dem Museum musste ich mich um ein paar nichttouristische Angelegenheiten kümmern. Die Wartezeit auf die Wäsche konnte ich aber im Massagepool des B&B angenehm überbrücken.

Nach dem Znacht ging ich nochmals ins Casino Diamond Tooth Gerties. Eigentlich wollte ich nur noch Fotos machen. Dazu setzte ich mich im oberen Stock an einen Tisch und beobachtete die Sing- und Tanzshow. Später gönnte ich mir einen Drink an der Bar. Dabei traf ich auf Götz und Henrik, die als Schreiner und Zimmermann seit acht bzw. drei Jahren auf der Walz sind und sich seit ihrer Ankunft im tiefsten Winter vor Aufträgen nicht mehr retten können. Nach sechs Monaten zieht es sie nun aber weiter ans andere Ende Kanadas. Während der Plauderei mit ihnen verging die Zeit schnell und so schauten wir auch noch die Mitternachtsshow. An den Roulette- und Black-Jack-Tischen war es teilweise schon erschreckend, wie vergiftete einige Leute ihr Glück versuchten und dabei in wenigen Minuten hunderte von Dollars verspielten. Dabei kann man sich vorstellen, wie das zur Goldgräberzeit wohl ausgesehen hatte. Wenn ich daran denke, wie uuhhh herzig doch Henriks Lieblingstänzerin vorne links mit den schulterlangen blonden Haaren war, hätte er wohl seinen ganzen Goldstaub hierhin getragen 😉

Natürlich hörte ich auch sonst noch einige Geschichten. So lehnte eine Tänzerin, die Eier über alles liebte, den Heiratsantrag eines reichen Verehrers ab, worauf dieser für damalige ca. US$ 22’000 sämtliche Eier der ganzen Stadt aufkaufte, nur um ihr das Lieblingsessen zu nehmen.

Oder der Ehrgeiz von Colonel Joe Boyle, der vom Stanley-Cup träumte. Damals waren die Ottawa Silver Seven das Mass aller Dinge. Eine Meisterschaft wie die heutige NHL existierte nicht, der Cup-Halter musste diesen gegen Herausforderer aus Kanada verteidigen, was die abgelegene und unbekannte Klondike-Region einschloss. Also forderte man den Titelträger heraus und machte sich auf den Weg in die Hauptstadt. Die Anreise per Fahrrad, Hundeschlitten, Postkutsche, Schiff und Zug dauerte drei Monate und die völlig erschöpften Nuggets aus Dawson City trafen 18 Stunden vor dem Spiel in Ottawa ein. Üben konnten sie anscheinend mal in Skagway und fit hielten sie sich mit Seilhüpfen im Raucherabteil. Das erste Spiel verloren sie “nur” mit 2:9, das zweite hingegen mit 2:23! Immerhin gab’s einige Rekorde zu verzeichnen: höchste Niederlage, meiste Gegentore in 10 Minuten, ein Gegenspieler traf in Spiel zwei 14 Mal… 1997 machte sich dann erneut ein Team auf denselben Weg. Sie verloren gegen die Ottawa Senators aus der NHL mit 0:18. 2011 traten die Senators dann zum ersten Mal zu einem Gastspiel in Dawson City an.

Dann darf natürlich die Story vom Sourtoe nicht fehlen. Wer einen ganzen Winter in Dawson City verbracht hat, darf sich Sourdough nennen und sich zu den harten Burschen oder Mädels zählen. Nun hat halt mal nicht jeder Zeit, um sich einen ganzen Winter lang – und die hiesigen Winter sind lang – seine Sourdough-Sporen abzuverdienen. Man erzählt sich nun, dass 1973 Captain Dick Stevenson beim Reinemachen einen in einem Glas Alkohol eingelegten grossen Zeh (Toe) fand, der ursprünglich in den 1920ern einem Goldgräber amputiert werden musste. Langer Rede kurzer Sinn: Stevenson hatte die Idee, sich mit dem Sourtoe-Drink von den anderen Bars abzuheben. Also legte er den Zeh in ein Glas und füllte es mit hochprozentigem Schnaps. Wer nun also diesen Drink zu sich nimmt – egal ob schnell oder langsam, wichtig ist nur, dass man den Zeh zumindest mit den Lippen berührt – darf sich Sourtoe nennen und gehört dann auch zu den Harten – oder Verrückten. Da ich weder Zeit für noch Lust auf einen Yukonwinter hatte und ich mir zum abknutschen was Besseres als einen scharzen Zeh vorstellen kann, machte ich mich halt weder als Sourdough noch als Sourtoe auf die Weiterfahrt.

Viele der Goldsucher verzweifelten und kehrten – wenn überhaupt – arm zurück. Der sicherere Weg zum Reichtum schienen da eher Dienstleistungen zu sein. So brachte ein Paar auf “Hochzeitsreise” sämtliche Teile über den Chilkoot Pass, um daraus einen Schaufeldampfer zu bauen. Mittlerweile stehen nur noch zwei Museumsstücke in Dawson City und Whitehorse. Ein Schiff verkehrt noch für touristische Fahrten um Dawson City. Auch wenn heute die Dampferfahrten auf dem Yukon touristisch wohl rentieren dürften, ist die Wiederaufnahme der Fahrten durch die mittlerweile gebauten zu niedrigen Brücken nicht möglich. Ein anderes Beispiel war ein Schwede, der mit einem Käfig mit knapp 50 Welpen in die Region reiste. Er verkaufte sie mit grossem Gewinn und fuhr nach kurzer Zeit ziemlich reich wieder heim. Auch sonst merkte man, dass viel Geld bzw. Gold im Umlauf war. Und da der Transport sehr mühsam war, brachte man nur die besten und teuersten Güter. Dazu passt auch, dass Dawson City als zweite Stadt Nordamerikas (ganz knapp hinter Chicago oder Detroit) komplett mit elektrischem Strom versorgt wurde.

Neben all den touristischen Informationen konnte ich natürlich auch hier wieder mit einigen netten Leuten plaudern, so z.B. mit einem deutschen Paar oder einem Norweger, der bei der Ötzi-Erforschung dabei war und die alle drei im gleichen B&B wohnten.