Angeschlagen angekommen, brauchte ich doch nochmals einige Zeit um mich zu erholen. Dazu musste ich mich entscheiden, wie ich denn nun noch rechtzeitig bis nach Weihnachten nach Costa Rica komme – mit dem Fahrrad definitiv zu weit. Ich überlegte zuerst, mit dem Bus nach San Salvador (El Salvador) oder Managua (Nicaragua) zu fahren und dann das Reststück zu radeln. Dann hätte ich aber die ganzen Indígena-Stätten der Maya, Azteken (bzw. Mexicas) und wie sie alle hiessen, ausgelassen. Natürlich wäre eine spätere Rückfahrt immer noch möglich gewesen. Die zweite Möglichkeit sah ich darin, nach Panama City zu fliegen und wieder nach Norden zu fahren – aber der Panamakanal wäre halt schon ein Meilenstein, den ich per Pedales erreichen will. Schliesslich entschied ich mich für die einfachste Lösung: Ich buchte einen Flüge von Guadalajara über México D.F. nach Costa Rica und blieb noch bis Weihnachten im Hostel. Obwohl ich nicht wirklich viel unternahm, gab es doch einige lustige (oder zumindest interessante/aufregende) Erlebnisse. Das sehr schöne Sonnenwetter half natürlich auch, Guadalajara in guter Erinnerung zu behalten.
Einen Tag nach mir erreichte der Südkoreaner Jung (ausgesprochen Tschong) das Hostel mit seinem Fahrrad – und einem Fuss im Gips. Er war in San Francisco losgeradelt und hatte problemlos Mazatlán erreicht. Dort wartete er zwei Monate (!) auf drei Pakete, von denen nur das Unwichtigste ankam. Als nächstes wurde er gegen Ende seiner Mazatlán-Zeit zu Fuss von einem Pickup angefahren. Die erste Raktion des Fahrers: Das ist deine Schuld!!! Am nächsten Tag wollten wir dann gemeinsam in die Innenstadt. Ich stand mit meinem Rucksack bereit und war überrascht, dass Jung auch noch das Velo dabei hatte. Meinen Einwand, ich würde nicht gerne den ganzen Tag auf die Räder aufpassen, mochte er nicht. Also radelten los, schauten ein paar Gebäude an und bummelten. Auf dem Rückweg legten wir einen Boxenstopp beim Supermarkt ein. Nachdem wir uns mit Lebensmitteln eingedeckt hatten stellten wir mit Schrecken (also vor allem bei Jung) fest, dass sein Fahrrad geklaut wurde. Mein Schloss ist wohl mittelmässig, so ca. Sicherheitsstufe 6 von 10 – seines hätte ich wohl mit einem Nagelknipser und etwas gutem Willem auch geknackt :-/ Jung nahm die Sache relativ locker und sah es als Zeichen, nach einigen Jahren in Kalifornien mal wieder nach hause zurückzukehren. Er wolle nun seine Vorbereitungen treffen, um ab Januar in Kanada zu arbeiten, wo die Arbeitsbedingungen besser sein sollen. Etwas später schwärmte er vom südlichen Ami-Kalifornien und wie warm es dort doch das ganze Jahr über sei: ca. 18°C und nicht ca. 5°C wie in Seoul. Er werde wohl frieren. Ich musste seine Euphorie dann mit dem Hinweis bremsen, dass man in Kanada bei 5°C im Januar wohl nicht von Kälte spreche 😉
Am ersten Freitag war ich dann fit genug, um mich Alejandro (Alex – dem Hostelbesitzer) und einigen anderen anzuschliessen und auszugehen. Im Internacional war ich erst überrascht dass Alejandro auch hinter der Bar arbeitete und dann etwas verwirrt, dass er kurz darauf wieder auf der anderen Seite stand. Etwas später sah ich ihn dann doppelt (nein, er war der/das einzige!) – seither kenne ich auch seinen Zwillingsbruder Fernando 😉 Später ging’s dann zu viert noch ins Unplugged. Die Livemusik war aber so laut, dass ich es vorzog, auf der Terrasse zuzuhören. Von dort hatte ich auch einen guten Ausblick auf’s Pantomimenkino: Hansi und Tere mit “kleinen” Meinungsverschiedenheiten… Alex meinte, ich hätte mich bereits auf den Rückweg gemacht und so verliessen auch sie den Klub – wo ich mich dann irgendwann fragte, weshalb ich nun alleine dort sei. Schliesslich fand ich dann ein Taxi, das mich zurückbrachte.
Am Wochenende meldete ich mich dann endlich bei Cristobal. Ihn und seine Kumpels Pablo und Paco hatte ich auf ihren bepackten Fahrrädern vor einem Supermarkt in Anchorage getroffen. Später erzählten sie mir, das sei der erste Tag ihrer Reise gewesen. Cristobals sehr nette Familie lud mich am Montag zum essen nach hause ein. Ich konnte dann auch dort übernachten. Die Mutter arbeitet ehrenamtlich bei irgendeinem Projekt mit – Floka oder so ähnlich. Jedenfalls fertigt sie Gegenstände (Handtaschen, Taschen, Rucksäcke usw.) aus den Deckeln von Getränkedosen. Die Dinger sehen echt toll aus und man erkennt erst auf den zweiten Blick, woraus sie gefertigt sind.
Am nächsten Tag kam dann auch Pablo dazu und wir fuhren zu einigen Läden, um mir eine neue Radlerhose zu kaufen. Schliesslich verabredeten wir uns für den Abend wieder. Diesmal war auch Paco dabei. Am Dienstagabend laufen jeweils die Wrestlingshows Lucha libre. Eigentlich freute ich mich ja darauf, in Mexiko mal ein Fussballspiel anzuschauen. Das sollte bei zwei Guadalajara-Teams in der ersten Liga (Atlas, die auch schon mal beim U19-Turnier in Altstätten vertreten waren und Chivas, von deren Ableger in Los Angeles ich beim Spiel in Vancouver gesehen hatte) eigentlich ja kein Problem sein. Dumm nur, dass sich beide nicht für die Finalspiele der Herbstmeisterschaft qualifizieren konnten. So ging’s dann halt zur Alternative. Beim Sammelpunkt kamen weitere Radler dazu, die in der nahen Casa de Ciclistas untergekommen waren. Die Show war natürlich nicht sehr realistisch aber die Stimmung war toll – vor allem die verbalen Schlagabtäusche zwischen den “Reichen” und den “Armen” (anscheinend ca. MXN 20 weniger Eintritt). Also wenn die anwesenden Kinder zu hause dasselbe rauslassen, wie ihre Eltern vor dem Ring, gibt’s von diesen wohl ordentlich ein paar hinter die Ohren 😉
Am nächsten Abend fuhr ich dann bei der Casa vorbei. Dort waren vier Australier, eine Kanadierin, zwei oder drei Spanier (die mich von Gabinos Erzählungen schon kannten) und ein Taiwanese (dem sie vor dem gleichen Supermarkt das Velo gestohlen hatten) anwesend. Sie wollten zu einem Konzert, mit dem ein anderer Radler aus Irland etwas Geld sammeln wollte. Der Taiwanese und ich fielen ein bisschen zurück und weil ich nie wusste, wohin es eigentlich ging und sein Ortssinn nur mit GPS funktionierte, mussten wir schliesslich unverrichteter Dinge wieder umkehren. Einige Tage später traf ich dort dann einen weiteren Iren auf grosser Fahrt sowie immer noch “Bremma”, die mittlerweile ihren Tandemrahmen aus Deutschland erhalten hatten und sich auf die Weiterfahrt vorbereiteten.
Jorge, einer der Hostelangestellten, ging praktisch jeden Tag ein bisschen joggen. Irgendwann versuchte ich mich dann auch mal. Nach zwei Wochen rumsiechen und nun doch schon wieder auf ca. 1’500 m.ü.M. ging mir die Luft aber ziemlich schnell aus und die nächsten Tage spürte ich die meisten Bein- und Fussmuskeln. So blieb es bei dem einen Versuch und dem Wissen, dass ich ja später wieder auf zwei Räder umsteige. In den kommenden Wochen beschränkten wir uns auf Shopping-Touren und Essen, wobei Quesatacos und Queso fundido meine Favoriten waren.
Am 8. (Abflug aus der Schweiz) und 9. (Ankunf in Amerika) Dezember war dann Jubiläum angesagt. Am zweiten Tag traf ich mich mit den drei Alaska-Mexico-Ciclistas zum Znacht. Bei der Rückkehr ins Hostel musste ich dann feststellen, dass der Schlüssel für das Vorhängeschloss an meinem Kästchen nicht mehr am gewohnten Ort (in der rechten Tasche) war. Der Schlüssel war unauffindbar und das Schloss reagierte auch nicht auf gutes Zureden. Nach einigen Tagen und einem letzten Ultimatum musste drei Blocks weiter um die Ecke eine Lösung suchen 😉
Auch bei den anderen Gästen hatte es einige lustige Personen dabei. So zum Beispiel Harvert, der als kolumbianischer Lehrer an einer Tagung teilnahm – und nach unserem Besuch in der Taquería Tomate eine Stunde zu spät bei der Tagung auftauchte, die aber wegen noch grösserer Verspätungen noch gar nicht begonnen hatte. Oder Sasha aus der Ukraine, der in Indien als Reiseführer für russische Touristen arbeitet, der mich für irgendeine Seite interviewen wollte, was in einem fragwürdigen aber doch lustigen (wenn auch nicht immer ganz wahren) Ergebnis endete. Hier war die Sprache ein bisschen das Problem. Dass mein Englisch nicht perfekt ist, verstehe ich ja. Wenn aber die Aussprache der teilweise zweisprachig aufgewachsenen Mexikaner oder US-Amerikaner ebenso wie meine kritisiert wird und das mit dem Hinweis, in Indien sei das anders… 😉
Im Supermarkt Bodega Aurrera kaufte ich einen billigen Fussball (MXN 45 = ca. CHF 3). Dieser hielt den Anforderungen des Hinterhofs aber nur wenige Minuten stand. Natürlich wollte der Sauladen ohne Kassenbeleg von Rückgabe oder Umtausch nichts wissen. Am nächsten Tag gab es dann einige überraschte Blicke, als ich wieder aufmachte. Diesmal zur Basura Aurrera 😉
Am letzten Samstag gingen wir nochmals aus. Auch Omar war dabei. Er war ziemlich aufgeregt und wollte alles über Velo, Ausrüstung und Erfahrungen wissen. Er und drei Kumpel planen im nächsten Sommer eine Fahrradtour von Finnland nach Portugal. Am Montag kam er dann nochmals vorbei, um meine Ausrüstung zu begutachten. Als er klingelte, hatte ich grad die Caramellini fertiggebacken. Alex lud mich für die Weihnachtsfeier zu seiner Grossmutter ein und ich wollte ein kleines Mitbringsel kreieren. Zudem konnte ich Fahrrad und nicht benötigte Ausrüstung bei Cristobals Familie für die Costa Rica-Ferien einstellen, wofür dann die zweite Tüte war. Zum Glück blieben auch noch einige Versuchsobjekt übrig 🙂
Zuvor hatte ich mich an diesem Tag mit Alex auf den Weg in die Innenstadt gemacht. Eigentlich wollte er mit seiner Freundin ein Weihnachtsgeschenk einkaufen gehen. Sie meinte aber, sie hätte lieber eine Überraschung. Ich lachte, ob es so nach “wenn du mich liebst, weisst du was mir gefällt” getönt hätte und er meinte, genau so sei es gewesen 😉 Also schlug ich vor, er solle was kaufen, das ihm gefalle, weil falls das bei ihr nicht der Fall sei, könne er es trotzdem noch gebrauchen – gefiel ihm aber auch nicht. Schliesslich fand er auch ohne mein Zutun ein fein gearbeitetes Halskettchen mit einem Anhänger aus Silber und Zirkonium – und vorweggenommen, er hatte den Geschmack gut getroffen.
Am 24. musste ich dann zittern. Bis auf das, was ich grad trug (Badehose und T-Shirt) hatte ich alle Kleider gewaschen. Das Wetter hatte etwas umgeschlagen und ich musste erkennen, dass das Zeug bei Sonne und warmem Wind wesentlich schneller trocknet als bei bewölktem Himmel. Schliesslich rettete ich meine Kleider gerade noch rechtzeitig vor den ersten Tropfen. Dass Anzug und solches Zeug nicht drinliegen hatte ich schon angekündigt. Dafür hätten sie beim T-Shirt zwischen braun, hellblau und dunkelgrün auswählen können. Ich wählte dann zur Jahreszeit passend das dunkelgrüne aus San Francisco mit den Surfbrettern. Nachdem das Bügeleisen die letzte Feuchtigkeit verdrängt hatte, war ich dann gerade noch rechtzeitig bereit.
Die Weihnachtsparty, -fete oder wie sie das nennen, ist ein “bisschen” anders als in nördlicheren Gefilden. Nach und nach trafen so ca. 50-60 Familienmitglieder und Gäste ein. Für Alex’ französische Freundin Marie und den in San Diego aufgewachsenen James vom Hostel war es ebenso eine Premiere wie für mich. Gut war, dass wir früh ankamen. So konnten wir uns nach und nach an die steigende Gästezahl akklimatisieren. Der ärmste Teilnehmer war dann definitiv León. Als einziges noch nicht auf eigenen Beinen stehendes Kleinkind wurde er von der gesamten Gästeschar wie eine Puppe hin- und hergezogen. Vor allem die älteren Damen konnten sich kaum beherrschen – und auch das ewige knuddeln, kneifen usw. Immerhin prügelte sich aber niemand um das Vorrecht 😉 Ein Knirps organisierte dann ein paar Papierschnipsel mit Tätigkeiten/Personen, die dargestellt werden sollten. Dabei fand ich laufen oder essen aber einfacher als einen verärgerten Grossvater. Weshalb ich als Grossvater verärgert hätte sein sollen, verstand ich sowieso nicht – blödes mangelndes Vokabular 😉 Dann gab’s eine Runde mit Zettelchen, die man im Namen von Jesus vorlesen sollte. Dabei stellte ich fest, dass das wohl ca. 70% nur der Grossmutter zuliebe machten 🙂 Darauf folgte eine Runde mit guten Ratschlägen. Weniger Konsum usw., gefolgt von “Wer macht beim nächsten Spiel mit? Es gibt was zu gewinnen.” Oder die Grossmutter: “Die Jungen sind viel zu sehr auf ihre Smartphones konzentriert”, worauf eine neben ihr sitzende ältere Dame unbedingt vorlesen musste, was grad jemand in Facebook gepostet hatte 😉 So ging es Mitternacht entgegen. Nach dem Countdown ging es mit einer Knuddelei weiter. Jede(r) umarmte jede(n) – die Formel für die Anzahl Umarmungen bei ca. 60 Personen habe ich jetzt nicht grad dabei. Endlich durften dann die (teilweise in grossen Abfallsäcken angeschleppten!) Geschenke verteilt und ausgepackt werden. Dazu wurde ein Kreis gebildet, wo die Schenkenden den Beschenkten ihre Gaben überreichten. Ich hörte vereinzelt Kommentare, man könnte die Schenkerei allenalls auf die Kinder beschränken 😉 Zu essen gab es irgendwann auch noch was – ich glaube kurz vor Mitternacht, bin mir aber nicht sicher. Bis dahin hielten wir uns mit sovielen Snacks und Süssigkeiten über Wasser, dass ich eigentlich gar keinen Appetit mehr hatte. Entweder ging es auch anderen so oder sie hatten viel zu viel bestellt. Die Reste dürften jedenfalls noch ein Weilchen hinhalten. Zusammengefasst: Mexikanische Weihnachtsfeiern sind weit entfernt von unserem Stille-Nacht-Stil. Die Zusammenkunft mit vielen netten Leuten und die lustigen Anekdoten waren aber toll.
Nach der Rückkehr ins Hostel musste ich dann noch meine Sachen sortieren und packen. So kam ich erst um ca. 06.00 ins Bett – Abreise ca. 12.30 – 13.00!